Träume leben statt Leben verträumen? – So ein Quatsch!
Der Traum als Negativwelt – Ein unterschätzter Lebensteil
„Du bist ja ein Traumtänzer!“, lachte Omi mir oft zu, wenn ich in kindlicher Naivität am Küchentisch (also zu Tage!) von spektakulären Reisen in ferne Länder, den Weltfrieden ohne Kriege oder meinem idealen Lebensverlauf philosophierte. Als „Traumatisierung“ gar bezeichnen Psychologen/innen seelische Verletzungen in Form von starken psychischen Erschütterungen, die durch besonderer Ereignisse (z.B. Gewalt, Schock etc.) ausgelöst die Belastungsgrenzen eines Menschen übersteigen und nicht richtig verarbeitet werden können. Wieso haftet dem Begriff „Traum“ so eine tendenziell negative, realitätsferne, manchmal sogar pathologische Bedeutung in unserer Alltagwelt an?
Es mag die Etymologie eine Rolle spielen, bedeutet doch „trauma“ im Altgriechischen schlicht „Wunde“ (damalig nicht auf das Psychische beschränkt). Auch die typischen Albträume, an die wir uns besonders erinnern, weil wir schweißgebadet aufgewacht sind, tragen zu diesem Image bei, ebenso wie pseudowissenschaftliche Traumdeutungen, die unserem Unterbewusstsein allerlei Symbole für ungelöste Kindheitskonflikte, Verdrängungsmechanismen oder unbefriedigte Triebe angedeihen lassen wollen.
Tatsächlich aber ist Träumen zunächst eine natürliche Körperfunktion, ohne die wir ziemlich verloren wären. Die intensivste Traumphase (meist träumen wir, ohne uns später an Trauminhalte zu erinnern) erreichen wir während der sog. „REM-Schafs“, Dieser wird dringend benötigt, um tagsüber erlebte Situationen zu verarbeiten oder aufgenommene Informationen im Langzeitgedächtnis zu speichern. Währenddessen bewegen sich nicht nur unsere Augenlider („Rapid Eye Movements“), auch Durchblutung, Herzfrequenz und Atmung werden in einigen Körperregionen intensiviert, ohne dass wir es bewusst mitbekommen.
„REM-Schaf“ und Träume sind zwar nicht dasselbe, scheinen aber in ähnlich engem Zusammenhang zu stehen wie z.B. umgekehrt Schlafstörungen mit Depressionen. Unabhängig davon weiß Jede/r von uns, wie es sein kann, einem „Morgenmuffel“, der schlecht oder wenig geschlafen hat, in der Früh zu begegnen.
Träume sind daher genauso echt wie der Bewusstseinszustand am Tag und bedeuten (bei richtiger Dosierung) gerade keine Verletzung sondern nehmen im Gegenteil eine wichtige Erholungs- und Ordnungsfunktion für Geist und Körper wahr. Insofern ist die Traum- keine Gegenwelt voller Verrücktheiten und Irrealem, macht sie doch im Durchschnitt ca. 1,5 Stunden unseres Lebens aus – und das jede Nacht! Deswegen thronte in der griechischen Mythologie Morpheus als der Herr der Träume wie selbstverständlich neben den anderen Göttern auf dem Olymp.
Doppelconférence? – Mir selbst zuhören
Wir wissen über Träume noch immer recht wenig, aber wir erinnern uns meist nur an jene, die ein wenig crazy anmuten, Ereignisse des Tages wild zusammenstöpseln oder Gedanken die uns beschäftigen in einen irrationalen Kontext setzen. In der Sprache unseres (All-) Tags hingegen bilden wir zumeist vernunftgesteuert Worte, Sätze und Geschichten, die „einen Sinn ergeben“, damit ihn andere verstehen können. Übertragen wir Traumsequenzen eins zu eins in unsere Alltagssprache, dann begehen wir bereits den ersten „Übersetzungsfehler“. Sage ich zu meiner nervenden kleinen Schwester z.B. scherzhalber: „You go me animally on my cookie!“ wird diese kurz die Stirn runzeln und dann lachend verstehen. Ein englischsprachiger Native mag es eher als linguistische Verschandelung deuten, aber das haben unreflektierte Übersetzungen an sich.
Mein Traum dient nur der Kommunikation mit mir selbst, nicht einer/m Dritten, auf dessen/deren Kommunikationsebene und Sprachverständnis ich mich einstellen müsste. Deswegen darf er am Tage ruhig ein bisschen „wahnsinnig“ daherkommen, denn er existiert erst einmal nur für mich in der Nacht!
Damit erinnert etwas an die humorigen Doppelconférencen, eigentlich Kabarettnummern, bei der ein/e Schauspieler/in die Rolle eines klugen Gesprächspartners einnimmt, während der/die andere einen begriffsstutzigen mimt. Hinterher allerdings ist oft gar nicht mehr so deutlich, welche/r von beiden nun gescheiter war. Der (unbewusste) Traum ist nicht stets der kindlich-naive Dümmling, der (bewusste) Verstand nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Im besten Falle sollten beide respektiert und akzeptiert werden, ganz nach Karl Farkas: „Eine Doppelconférence ist eine Conférence, die von zwei Künstlern gehalten werden muss, weil einer allein sich nicht traut, die Verantwortung zu übernehmen.“
Träumen Sie Ihren Traum übersetzungsfrei; als künstlerischer Teil Ihrer Persönlichkeit hat er seine gute Berechtigung!
Träume sind Schäume? – Badeabend statt schneller Morgendusche
Traumtänzer und Träumer gelten im Alltag oft als Fantasten und Luftikusse. Deren Traumbilder seien nichts als Einbildungen, die wie Seifenblasen an der Nadel der Wirklichkeit zerplatzen. Ich persönlich nehme gerne (gerade jetzt, wenn es sehr heiß ist) mal schnell zwischendurch eine kalte Dusche, um mich zu erfrischen und wieder das zu bekommen, was man landläufig „einen klaren Kopf“ nennt.
Hin und wieder liebe ich aber auch ein Schaumbad, wo schon das Einlassen des sprudelnden Wassers eine gewisse Zeit dauert. Neben dieser Vorfreude, die mir die Dusche nicht bieten kann, geht es auch um das „Sich-Hineinfallen-Lassen“ in die warme Schaumkrone. Ich muss mich nicht mit Duschgel einrubbeln und den Duschstrahl justieren sondern werde ganz und gar wohlig umschlossen vom Duft des flüssigem Badearomas, atme den Duft der Badeperlen ein und höre ganz leise die zerspringenden Schaumblasen auf der glitzernden Oberfläche. Ein Schaumbad ist (schon rein ökologisch gesehen) nichts für jeden Tag und das Erlebnis nichts für die Ewigkeit. Aber es kann eine Stimmung einfangen, mich runterzubringen in das „Jetzt“, mich den Moment achtsam genießen und den Gedanken ihren freien, völlig unkontrollierten Lauf zu lassen – genauso wie im Traum auch, und das selbst am Tag!
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die meine Ideen als „Träumereien“ abwerteten, oft einfach nicht die Vorstellung dazu hatten (weil z.B. aus einer anderen Generation kommend). Manche haben diese auch als indirekten Angriff auf ihr hermetisches Weltbild gesehen und abgeblockt (z.B. meine Religionslehrerin) oder noch öfter: Insgeheim ärgert es viele, nicht selbst auf diese tolle Idee gekommen zu sein bzw. haben sie Furcht, dass diese tatsächlich funktionieren könnte. Auch wenn es von ihnen oft gut oder zumindest nicht böse gemeint ist, hilft hier nur eines: Wertschätzend für den Rat danken, dann ignorieren und munter weiterträumen!
Träume gehören nur Ihnen, niemand kann Sie ihnen wegnehmen oder sie „abwerten“ – Manchmal entstehen daraus die größten Dinge.
Träume, Wünsche und Ziele
Einige Träume verdichten sich zu einer konkreten (Wunsch-) Vorstellung, zu etwas, was ich nur zu gerne in der Zukunft hätte. „I have a dream…“ leitet keine Schlafphase ein sondern eine fest umrissene, greifbare Vision eines Idealzustandes, der oft leider nur weit entfernt scheint. Der Traum mutiert dann zum Wunsch, vom psychischen Schlaferlebnis zum Begehren in der Tagwelt. Träume und Wünsche erfüllen einen Zweck, der dabei nicht mit dem von Zielen verwechselt werden sollte. „Wünschen“ kommt von Wollen, weshalb der Wunsch bzw. Wunschtraum mit dem Ziel die Intension gemein hat. Ziele aber dienen („gezielt“!) dazu, einen unliebsamen Zustand zu verbessern anhand genau definierter Parameter, anders als ungebundene Träume.
Möchte man etwas nicht zwingend verändern sondern freut sich nur, wenn es (zufällig, von außen kommend) passiert, spricht nichts dagegen, es bei einem (Wunsch-) Traum zu belassen. „Von manchen Kostbarkeiten will ich nur träumen oder sie aus der Ferne bewundern, statt sie zu besitzen und keine Träume mehr zu haben.“, beschreibt es R. Haak sehr treffend. Man kann und muss also gar nicht jeden Traum oder Wunsch in ein Ziel transformieren! Möchte man aber ein Ziel (aus eigener Kraft) erreichen, sollte dieses „S-M-A-R-T“ sein. Zielerreichung ist wie das Projektmanagement der Persönlichkeitsentwicklung, wo ich für einen bestimmten Zeitraum besondere Energie investiere, um etwas zu gewinnen. Ein echtes Ziel ist demnach:
„S-pecific“ (konkret, eindeutig und so präzise wie möglich)
„M-easurable“ (qualitativ oder quantitativ messbar)
„A-cceptable/A-chievable“ (zweck- und aktionsorientiert sowie positiv)
„R-ealistic/R-elevant“ (selbst mit meinen Mitteln und meiner Motivation beinflussbar)
„T-imely/T-erminated“ (mit klarem Termin, bis wann das Ziel erreicht sein soll).
Alles andere bleiben Wünsche und Träume, die bei Nichterreichen nicht sonderlich wehtun, da ich einen Traum immer wieder träumen kann. (Schein-) Ziele jedoch können frustrieren, wenn man keine Möglichkeit hat sie positiv zu beeinflussen bzw. man nicht versteht, warum sie eventuell gescheitert sind und wie man es beim nächsten Mal besser machen kann. Bei den Ziel-Parametern sollte man zu Beginn der Zieldefinition eher streng zu sich sein und immer selbstkritisch fragen: Woran, wie und wann erkenne ich, ob das Ziel erreicht wurde oder gescheitert ist, wie mich z.B. ein kleines, neugieriges Kind fragen würde?
Zielfindung, nicht für Jede/n etwas – Übung: „Fiktive Unternehmensgründung“
Oft scheitern Ziele daran, dass sie noch zu sehr am (Wunsch-) Traum orientiert sind und damit zwar nicht unreal, aber zu unrealistisch daherkommen. Als jahrelanger Kettenraucher an Silvester die letzte Zigarette, während mein halber Freundeskreis munter weiterpafft? – Kann ad hoc funktionieren, muss aber nicht. Oftmals sind kleinere Teilziele überdies einfacher und motivierender zu erlangen als hochgesteckte Riesenziele!
Manchmal aber scheint es auch eine Typ-bzw. Situationsfrage zu sein: Viele brauchen die Disziplin, die Kontrolle und die genaue Definition, damit sich etwas bei ihnen bewegt. Dann können smarte Ziele super helfen, sich über das klar zu werden, was ich will und bereit bin, dafür zu tun.
Anderen ist die dahinter stehende Logik zu planerisch und durchgesteuert. So stehen z.B. viele Unternehmensgründer/innen der sog. „Effectuation“ näher. Hierbei wird nicht auf ein fixes Ziel am Ende hingearbeitet, sondern erst einmal die zur Verfügung stehenden Ressourcen angeschaut (Was kann ich? Was macht mir Freude? Wer unterstützt mich? etc.). So versuche ich daraus etwas für mich Sinnvolles zu machen, anstatt mir für ein hehres Ziel womöglich erst noch die Mittel zusammensuchen zu müssen. Diese Patchworktechnik reagiert besser auf sich oft ändernde Rahmenbedingungen (was, wenn die Annahmen meines Ziels plötzlich nicht mehr stimmen?) und ist pragmatisch-kreativ ausgerichtet.
In unserer spannenden Übung „Fiktive Unternehmensgründung“ erzählen sich in einer Dreier-Gruppe innerhalb von 15 Minuten alle nacheinander ihre drei für sie wichtigsten Eigenschaften oder Fähigkeiten, die sie gerne und einigermaßen gut machen. Danach tun sie sich (fiktiv) als Firmenpartner/innen zusammen und „erfinden“ ein Produkt oder eine Dienstleistung, die es so noch nicht gibt und für die zumindest theoretisch ein Bedarf am offenen Markt existieren könnte. Da die insgesamt 9 Fähigkeiten meist auf den ersten Blick weder etwas mit Unternehmensgründungen („Ich pflücke gerne Pilze“ – „Interessant!“) noch dem Wettbewerb oder gar miteinander zu tun haben, ist Kreativität gefragt.
Das Produkt bzw. die Dienstleitung kann gerne so uncool wie Schulterpolster in den 80ern oder objektiv betrachtet so überflüssig wie ein Tamagotchi sein – Hauptsache alle 9 Fähigkeiten werden dafür eingesetzt und alle Gruppenmitglieder finden ihren Platz im Unternehmen. Dafür sind nur 30 Minuten Zeit; schnelle und von ihrem Ergebnis total überzeugte Gruppen haben vielleicht sogar Zeit für einen ersten Logoentwurf oder einen knackigen Verkaufsspruch! Im Anschluss präsentiert jede Gruppe ihre Wahnsinnsidee und lässt die anderen darüber diskutieren – So manche geniale Innovation ist so schon entstanden.
Auch wenn jemand nicht der „Unternehmensguru“ ist: Die Übung ist auch im privaten Freundeskreis lustig und hilft dabei, sich der eigenen Talente und ihrer Möglichkeiten zur Verwendung klar zu werden – Für Ihren Traumjob wie die Freizeit. Probieren Sie es aus!