„START UP“ oder „END DOWN“? – ein stereotyper Fermentierungsprozess
Eine innovative Idee, schnelles Wachstum und IT-Affinität sind drei der Markenzeichen gängiger Startup-Definitionen. Copycat und Franchise sind daher ebenso wenig Startups wie der neugegründete Würschtel-Stand auf der Mariahilfer Straße. Startups gelten deswegen als „cool“, denn alle drei Attribute werden gern mit Stereotypen in Verbindung gebracht: unangepasst, dynamisch und highly committed. Wie Backhefe saugen sie Inputs auf, treiben aus wohin sie wollen, vergrößern ihr Volumen und geben Geschmack – wenn der Startup-Spirit vergoren ist, fressen sie sich manchmal selbst…
Die Latenzphase: Wettlauf der Ideen?
Altbackenes gilt als Startup-Feind. Schließlich steht die Innovation in der Konditoreiauslage. Den Kundennutzen zu steigern, ist jedoch mehr als eine gute Idee. Ihre abstrakte Qualität entscheidet genauso wenig wie ein Stimmtalent beim Gesang-Casting. Vielmehr macht die Performance einer zügigen und marktgerechten Umsetzung aus einer Idee erst Innovation.
Auch im Fermentierungsprozess wird der Teig erst lose gewalkt. Die Hefezellen „analysieren“, welche Nährstoffe sie brauchen und bereiten sich auf den Stoffwechsel vor. Oft bestimmt die Effectuation-Methode im Sinne eines zweckmäßigen Einsatzes bestehender Ressourcen bei angestrebter Risikoverringerung die Backtemperatur. Mit schnellen und unmittelbar spürbaren Erfolgen statt langweiliger Bürotätigkeiten spukt damit eine Form der Selbstständigkeit in den Köpfen der Erlebnisgesellschaft herum. Doch gerade am Startup-Anfang stellt das Zusammenkneten weniger hochwertiger Rohstoffe und deren Zubereitung die Weichen. Weder hat rezeptloses Drauflos-Programmieren je eine brauchbare App hervorgebracht. Noch ersetzt IT-Affinität unternehmensinterne Grundfunktionen wie etwa Leadership, Marketing oder Sales. Die Sichtweise, dass nur der nerdige Technik-Freak oder Computer-Genius erfolgreiche Startups backen, eignet sich als altes Brot vom Vortag zum Entenfüttern. Als EPU-Allrounder probiert er zwar neue Backmischungen aus – irrationale, emotionale Bauchentscheidungen statt Unternehmensratio gehören aber selten zum Geschäft.
Die exponentielle Phase: Erste Erfolge trotz oder wegen?
Alle in der neuen Backstube sind hoch motiviert – auch nachts um vier. Schließlich steht der Bäckermeister selbst mit am Brotwendegitter. Arbeitszeiten wie Zuständigkeiten gelten nicht als resche Semmeln, werden damit doch nur Anwesenheit verwaltet und Blockade ermöglicht. Das bedeutet nicht, dass in Startup-Öfen Humanressourcen verheizt werden. Vielmehr greifen sich alle unter die Arme, was gewachsene Arbeitsprozesse oft chaotisch und unstrukturiert ausschauen lässt. Gerade dadurch erhöhen manch junge Bäckerlehrlinge ihre Worklife Integration statt nach utopischer Balance zu suchen. Output-basiertes Startup-Arbeiten bietet zu anfangs größere Gestaltungsspielräume, mehr Arbeitszufriedenheit und steigert die Leistung. Transparente Strukturen, flache Hierarchien und kooperative Entscheidungen sind in dieser Phase noch lebbar und überschaubar.
Die Backleistung steigt, der Fermentierungsprozess schreitet voran. Die Hefezellen sind voll aktiv und vermehren sich konstant – die erste Gärung setzt ein: Success! Rasante Nachfrage, Expansion und Produktportfolio-Erweiterung stehen an. Dazu werden neue Mitarbeiter in die Backstube eingestellt, deren Charakter vermeintlich wichtiger als die Fähigkeiten sein soll. Dass bei jungen Hochleistungsteams keine Störpotentiale eingekauft werden wollen, mag kein aufgeblähter Germteig sein. Dass aber allein Mindset und Teamspirit durch das Startup-Recruitung führen, ist märchenhafte Brotkrumen-Navigation á la Hänsel und Gretel. Attraktiv scheinen Startups für Mitarbeiter, wenn sie mit Pools, Spieleecken und den neuesten Digital Devices überausgestattet protzen. Tatsächlich gehört auch das in den Fantasiebereich – die meisten Startups fegen Krümel wie Mehlreste zusammen und kalkulieren mit jedem Cent. Glamouröse Silicon-Valley-Partys von Internet-Milliardären geistern durch die Medien, während der Visitenkarten-CEO kleinere Brötchen im Small Business bäckt. Auch die vermeintliche Hipster-Szene der Co-Working-Spaces schlägt sich oft weniger in der gegenseitigen Befruchtung vor Ort denn günstig ausgestatteter Arbeitsplätz wieder.
Die stationäre Phase: Wachstum – aber wovon?
Wuchs wird gelegentlich mit Größe verwechselt, nicht nur im Startup-Feld. Dabei kann man auch an etwas wachsen (z.B. mittels Scheitern), ohne das der Gegenstand gleich mitwächst. Als „erwachsen“ gilt man ab einem bestimmten Alter. Man ist es aber erst, wenn man eine gewisse Reife erlangt hat. In dem Film „The Social Network“ spricht der Napster-Mitbegründer Sean Parker deutliche Worte über Facebook: „A million dollars isn’t cool, you know what’s cool? (…) A billion dollars!“. Startups sind Unternehmen, und diese gelten als erfolgreich, wenn sie wachsen. Denkt wer anders, wird das belächelt. Aber was genau soll wachsen – der Gewinn? Die Struktur? Der Unternehmenswert?
Sind die bestehenden Ressourcen hinreichend optimiert eingesetzt, gibt es der Backstrategien mindestens zweierlei: Sich mit dem spezialisierten Lokalgeschäft nach dem Pareto-Prinzip auf die profitablen Produkte mit wenig Aufwand fokussieren. Oder mit Umsatzsteigerung zur Großbäckerei mutieren. Jedoch wird der Fermentierungsprozess schon langsamer, da sich die ursprünglichen Nähstoffe für die Hefezellen gen Ende neigen. Manche schwören auf Inkubatoren, einige nutzen Accelerator und wieder andere staatsnahe Förderprogramme oder -kredite. Jetzt spätestens naht die kapitale Backzeit der Investoren. Ob in der Unterhaltungsshow „Die Höhle der Löwen“ der Backofen für den gelungensten Pitch qualmt oder nicht – der Startup-Ausverkauf beginnt mit Unternehmensbeteiligungen wie beim Backwerkvertrieb direkt ab Lager. Die Hefe futtert sich an ihrem eigenen Stoffwechsel zugrunde oder wird vom größeren Verschlungen. Die Gärung kommt zuletzt letal zu Erliegen, bis jemand aussteigt und eine neue Unternehmenskultur zu züchten beginnt…