Sketchnoting – Skizzierst du schon oder notierst du noch?
Sketchnotes – mehr als Geschreibsel mit bunten Comicfiguren
Sketchnotes (engl. „Skizze“ + „Notiz“) sind kurze Anmerkungen, Abfassungen oder Vermerke, die aus Text, Bild und Struktur bestehen. Im Gegensatz zu konventionellen Mitschriften sind Sketchnotes nur selten linear strukturiert. Menschen, die etwas ausprobieren wollen, nicht angepasst an vorgegebene Strukturen denken möchten oder Ihre Persönlichkeit in den Ausdruck einfließen lassen mögen, sind hier gut aufgehoben – ohne in darstellende Anarchie verfallen zu müssen. Hierarchien und Abfolgen können nämlich über Pfeile oder andere Anordnungsbeziehungen hergestellt werden. Sketchnotes enthalten meist nur zentrale Schlüsselbegriffe, die mit Icons oder Symbolen grafisch und/oder farbig ergänzt werden – keine Bullet-Point-Aufzählungen oder Stichwortwüsten.
Das kommt Ihnen zu künstlerisch vor? Schon die Höhlenmenschen kommunizierten in einfacher Bildersprache, die weder Schnittdarstellungen, die Perspektive noch das Farbenspiel beachtete. Trotzdem (damals wie heute) steckte enorme Aussagekraft darin. Nach Verdrängung durch die Schriftsprachen wanderte das Zeichnen von Bildern im Laufe der Jahre langsam in den Bereich der hohen Kunst ab, die wir nur noch in Galerien bestaunen. Alles andere wird heutzutage als kindische Kritzelei abgekanzelt.
Ich ernte in Workshops mit spielerischen Zeichenübungen gerne einmal die Schutzbehauptung: „Ich kann keine Bilder malen – ich bin doch kein/e Grafiker/in!“ In der Schule und im Kindergarten haben wir noch unbedarft mit Freude Blumen und Bienchen gezeichnet und wurden zu bildnerischem Experimentieren animiert. Wenn dies als Erziehungsmaßnahme ausgedient hat, gelten fortan diejenigen als eloquent und rhetorisch fit, die Argumentationsketten und den komplexen Syntax beherrschen. Bildersprache wird heute auf wenige Fachgebiete wie die Kreativbranche oder Werbung beschränkt – dabei reicht visuelle Kommunikationskompetenz weit darüber hinaus.
Sinnerfassend in Wort und Bild – Visual perception
Haben Sie Ihre buchstäblich „7 Sinne beisammen“, nutzen Sie gemeinhin den Sehsinn (Augen), den Geruchssinn (Nase), den Gehörsinn (Ohren), den Tastsinn (Haut), den Geschmackssinn (Zunge), den Bewegungssinn (Muskeln/Sehnen) sowie den Gleichgewichtssinn (Innenohr). Am wichtigsten für die menschliche Sinneswahrnehmung sind dabei visuelle Reize wie Bilder, Logos, Farben oder Formen. Der Sehsinn liefert ca. 80 Prozent aller Informationen, die wir im Gehirn in weniger als zwei Zehntelsekunden verarbeiten. Damit besitzt er die mit Abstand höchste Aufnahmekapazität von allen Sinnen! Auch sind visuelle Reize nur bedingt kontrollierbar und lösen (ob wir wollen oder nicht) unmittelbar Emotionen in uns aus, z.B. um die Aufmerksamkeit beim Publikum zu erhöhen. Deswegen ist ein ansprechendes Bewerbungsfoto noch immer genauso wichtig wie das Motivationsschreiben bei der klassischen Jobsuche. Deshalb leiten die meisten Präsentationen mit einem starken Bild ein, Nachrichten ziert ein markantes Bild und die Werbetafel bedient sich einer aussagekräftigen Farbwahl.
Glaubt man Wahrnehmungsstudien, bevorzugen wir persönlichkeitsbedingt die Aufnahmekanäle unterschiedlich stark, selbst wenn wir stets angehalten sind, die Welt um uns herum „mit allen Sinnen zu genießen“ und „Probleme ganzheitlich zu erfassen“. Mit über 40 Prozent dominiert der „visuelle Wahrnehmungstyp“, welcher Schaubilder und Grafiken zur Untermauerung von Fakten braucht. Er möchte Dinge und Mitmenschen face-to-face sehen bevor er mit ihnen Geschäfte macht, und versteht am besten dadurch, dass er sich von allem „ein eigenes Bild macht“!
Klare Gedanken nach innen wie außen – Bilderkommunikation leicht gemacht
Bei konkreten Gegenständlichem wie „Topf“ oder „Gabel“ wirkt die Ideenlehre Platons Wunder. Auch wenn ich grob ein Reindl skizziere, Sie hingegen einen Reiskocher vor Augen haben, wissen wir beide, dass ein Topf gemeint sein soll. Bei abstrakt Immateriellem wie z.B. „Nachhaltigkeit“ aber kann ich an Personalentwicklung denken und Sie an Bio-Gartenbau, sprich: zwei völlig verschiedene Begrifflichkeiten. In ein Sketchnote verpackt, würde dies nicht nur simpler sondern gleichzeitig klarer. Gerade in interdisziplinären oder interkulturellen Settings können für uns vermeintlich eindeutig bezeichnete Begriffe Verwirrung auslösen, die mittels Sketchnotes besiegt wird.
Deswegen etwa kommen internationale Gefahrenzeichen in Piktogramm-Form ohne jede Fremdsprachenübersetzung aus. Neben einer verständlichen Kommunikation lassen sich über Sketchnotes auch komplizierte Sachverhalte auf das Wesentliche reduzieren, Der/Die Zeichnende muss buchstäblich „auf den Punkt“ kommen, anstatt sich in Worthülsen oder Redundanz auszubreiten. Dies kann umgekehrt auch erst zum Finden von Lösungen oder Entscheidungen genutzt werden, beispielsweise über die Methode des Mindmappings: Statt über Worte verzweigen sich visualisierte Ideen anschaulicher. Eine Herausforderung etwa wird dadurch greifbarer und Lösungen buchstäblich „herausgebildet“. Wenn ich etwa von Führungskräften höre, sie hätten ein „Kommunikationsproblem im Team“, lasse ich sie dieses (oft mit Widerstand) zeichnen, um dem auf die Spur zu kommen. Nachweislich können sich Lesende wenige Bilder besser einprägen und die Quintessenz leichter verinnerlichen. Es wird ein Anker im Kopf gesetzt, und die Bildhaftigkeit lockert Textlastigkeit auf. Sie erzeugt gelegentlich auch etwas Anekdotisches und zaubert ein Lächeln auf die Lippen der Lesenden.
Nicht schön, aber selten – Alles beginnt mit einem ersten Strich
Anders als bei zum Teil oft verwendeten Begrifflichkeiten, Phrasen oder Fachterminologie geben Sie über Sketchnoting einen sehr viel persönlicheren Einblick in Ihre Welt – schon dadurch, wie Sie zeichnen und mit welchen Farben und Formen spielen etc. Ihren Stil erkennt man wieder und behält Sie als Persönlichkeit im Gedächtnis, selbst bei einem einfachen Strichmännchen. Da es hier nicht um kunstvolle Überhöhung, naturalistische Detailgenauigkeit oder ästhetische Verzierung geht, laufen Ihre Sketchnotes auch nicht Gefahr, mit den „betenden Händen“ Albrecht Dürers oder dem „vitruvianischen Menschen“ Leonardo da Vincis verglichen zu werden.
Mit Sketchnotes ist es wie mit dem Fahrrad zu fahren: Je früher und kräftiger Sie zu strampeln anfangen, desto besser werden Sie! Um die erste Scheu zu verlieren, zeichnen Sie zur Probe einfache Grundsymbole für Gegenstände (z.B. Haus, Glas, Handy, Auto) wie für typische Ausdrücke von Grundaussagen vor. Während unverfänglicher Situationen im geschützten, privaten Raum können Sie sich ausprobieren. Das kann nebenbei beim Telefonieren, beim Nachdenken am Schreibtisch oder beim Einkaufslisten schreiben sein. Suchen Sie sich dazu ein Thema , dass Sie momentan beschäftigt. Ob Familienplanung, Jobsuche, Umzugsentscheidung – zeichnen Sie Ideen dazu brainstorm-artig auf ein DIN-A-3-Blatt.
Generell gilt bei Sketchnotes: Weniger ist mehr! Wenn ein Begriff erkennbar ist, versuchen Sie nicht, diesen krampfhaft zu verschönern oder weiter ausschmücken. Sehr wohl können Sie sich Akzentuierungsmöglichkeiten überlegen wie beispielsweise eine Rahmung oder farbige Umrandung. Sie können das Ganze auch in ein Gesellschaftsspiel kleiden: Anstatt zu Mehreren um ein Brett zu sitzen oder beim Kartenausteilen, erzählen Sie mündlich eine kurze Geschichte, die Ihnen passiert ist. Alle haben sodann die Aufgabe, ein visuelles Verlaufsprotokoll zu zeichnen. Hier gewinnt nicht das schönste Bild, sondern dasjenige, welches am exaktesten die Situation erfasst hat. Bei Meetings etwa existiert dies bereits in Form von „Visual live recording“ – das alte Sitzungsprotokoll, welches ohnehin nie jemand liest, wird damit neu belebt.
Beteiligte Personen müssen Sie dabei nicht „entstellen“, sondern nutzen die gute alten Strichmännchen. Schließlich beginnt alles mit einem ersten Schritt… – ähm, Strich! Mit Sketchnotes fallen Sie nicht nur positiv bei jedem Treffen auf (ob Business oder privat), Sie trainieren auch Ihr eigenes, visuell-vernetztes Denken. Ein Lebenslauf mit Sketchnotes oder eine Postkarte aus dem Urlaub machen Ihre Message zu etwas Besonderem und heben Sie von Einheitsbrei á la CV im Europass-Format oder „Wetter schön, Essen gut“ ab. Halten Sie fortan Ihre Spontaneinfälle nicht mehr im Handy fest, sondern Sketchnoten Sie sie auf einen handlichen Block – Sie werden sehen, wie die Lust darauf steigt, diese im Nachhinein wirklich umzusetzen statt nur als To-do’s zu betrachten, welche erledigt werden müssen. Auch schriftliche Lernunterlagen vertragen Sketchnotes und machen das Lernen wie Notieren zum Spaß – und diesen vergessen wir viel zu oft im Alltag!