Karriere berufserfahrener Akademiker/innen – wieso gelingen Job-Neustarts so schwer?
Karriere alt versus neu – Ein Job ist stets ein Job ist stets (nur) ein Job!
Das Bild der Karriereleiter, die man entweder erfolgreich immer weiter hinauf erklimmt oder herabsteigt, hat ausgedient. „Karriere“ für berufserfahrene Akademiker/innen umfasst heute die Passgenauigkeit zur aktuellen Lebenssituation, Auszeiten und Neuanfänge, Downsizing und Jobwechsel, Aufbaustudien und flexible Arbeitsmodelle. Wie bei einer Bergwanderung ist der Sammelpunkt am Gipfel zwar ein Ziel, aber der Weg dorthin von strammen Anstiegen und flachen Plateaus, herrlichen Aussichtspunkten, Wadenkrämpfen und Motivationstälern wie Picknick-Pausen und orientierungslosem Kartenlesen durchsetzt.
Manchmal gibt es die Notwendigkeit, sich als berufserfahrene Akademiker/innen auf den neuesten Stand der Technik zu bringen oder aber für eine geforderte Spezialisierung nochmals die Lern-Bank zu drücken, um den angestrebten Job zu ergattern – in den meisten Fällen aber ist dies unserer Erfahrung nach nicht der springende Punkt! Vielmehr scheitern diese Jobsuchen oft daran, lange aus dem Bewerbungsprozess draußen gewesen zu sein, wie auch daran, die eigenen Pluspunkte nicht akzentuiert in Szene setzen zu können. Weniger die Selbstvermarktung und -darstellung als das tiefgründige Schöpfen aus dem meist reichhaltigen Erfahrungsfundus kommt dabei zu kurz, obwohl gerade dies mit fortgeschrittenem Alter den Mehrwert gegenüber blutjungen Berufsanfänger/innen bildet. „Wer stellt mich denn noch ein?“ oder „Ich bin denen doch viel zu teuer und unflexibel!“, lauten die Statements dann gerne. Gelegentlich führen sie zu einer Bewerbungsstrategie der falschen Bescheidenheit oder gar des Understatements, wo berufserfahrene Akademiker/innen ihre wertvollsten Ressourcen kaschieren, um ja nicht als überqualifiziert zu gelten. Oftmals überwiegt die Frustration, mit dem über die Jahre gesammelten Zusatzwissen, den Berufserfahrungen und der menschlichen Reife nicht gebraucht zu werden. Verjüngungswahn, ständige Veränderungs- wie Anpassungsbereitschaft steuern ein Übriges zu der Tendenz bei, sich als berufserfahrene/r Akademiker/in am Jobmarkt nicht ernst genommen zu fühlen und „nur noch irgendeinen Job haben zu wollen.“
Buchrezension 1 – „Berufliche Neuorientierung“
Dazu haben wir uns o.g. Buch der Frankfurter Karriere-Beraterin Elke Wagenpfeil angesehen, welches 2017 im GABAL-Verlag erschienen ist. Als Teil der Verlagsreihe „30 Minuten“ wird bereits deutlich, worauf der Fokus liegt: Kein umfassendes Detail-Konvolut über Bewerbungsprozesse, -strategien und persönliches Veränderungsmanagement bilden den Inhalt. Vielmehr sollen „in kurzer Zeit prägnante… Informationen“ aufgenommen werden, um „in 10 bis 30 Minuten das Wesentliche zu erfassen“ – zum Thema, wie man eine berufliche Neuorientierung angeht. Dies gelingt u.a. mithilfe eines Leitsystems, prägnanter Formulierungen wie eines Fast Readers am Ende des 96-seitigen Überblickratgebers.
Uns hat zunächst die Intension gefallen, sich statt klassischer Bewerbungsratgeber mit Lebenslauf-Optimierung oder dem Super-Fancy-Cover-Letter zunächst einmal zu fragen, warum überhaupt eine Neuorientierung sein soll, was die Beweggründe dahinter sind, wie der neue Job bestenfalls aussehen soll und welche gedanklichen Schritte zur Findung man sich machen sollte. Lässt man dies weg und stürzt sich gleich auf Jobangebote, stellen Recruiter/innen bei vielen Bewerbungen sehr schnell fest, dass innerlich noch etwas „gärt“ und unabgeschlossen ist – das überzeugt nicht nur selten sondern (falls doch) führt oft auch zu Jobs, die man so gar nicht wollte. Ein weiterer Pluspunkt des Buches ist der knappe Stil, der oft Anregungen zum Nachdenken oder einfache Fragestellungen mitgibt, ohne parate Patentlösung. Zuletzt besteht bei diesem Buch nicht die Gefahr, Denkgebäude oder -ansätze, Formulierungen oder Ausrichtungen zu übernehmen, wie wir es leider häufig in Bewerbungsgesprächen sehen oder in Coachings hören. „Was soll ich darauf am besten antworten?“ oder „Welches Beispiel kommt am besten an?!“ ist stets etwas, was nicht aus Bewerbungsratgebern abgeschrieben werden sondern nur mit Ihrer konkreten Situation und Persönlichkeit zusammen Sinn haben kann.
Das Buch begreift die berufliche Neuorientierung als Reise und stellt deren Stationen in 5 Kapiteln dar: Angefangen vom Start („1. Aufbruch in ein neues (Job-) Land“) über die eigenen Antreiber dazu („2. Sich selbst erkennen“) hin zur Reisekonkretisierung u.a. mit Jobideen und -Informationen („3. Zielkurs definieren“) und -durchführung inklusive Strategie („4. Umsetzung planen“) und zuletzt den mentalen Herausforderungen bei solchem Tun („5. Das Einmaleins der Psychologie der Veränderung“). Ob das letzte Kapitel der Logik halber nicht besser an den Anfang gehört hätte und der Motivation wegen an den Schluss gerutscht ist, wissen wir nicht. Letztlich tut das dem Aufbau wie dem Praxisbezug der Darstellung keinen Abbruch. Methodisch souverän angeleitet wird hier ein verständlicher Einstieg in das Thema gegeben mit Tipps, Hinweisen, Übungen und Anleitungen.
Buchrezension 2 – „Karriere nach der Wissenschaft: Alternative Berufswege für Promovierte“
Bei vielen Akademiker/innen kommt erst nach Jahren das, was man gemeinhin „Berufung“ nennt: Wozu habe ich wirklich Lust, was sind meine ureigensten Interessen oder verborgenen Talente? Mit deren Entdeckung einher geht oft, dass das bisherige Jobleben wie das Studium dazu in starkem Gegensatz oder jedenfalls in weiter Ferne zu liegen scheint. Fast Prototypisch scheint dies an den Berufsfeldern inner- und außerhalb der Wissenschaft erkennbar. Dazu haben wir uns o.g. Buch der Konstanzer Personalentwicklerin Mirjam Müller angeschaut, welches 2017 im CAMPUS-Verlag erschienen ist. Auch wenn der Untertitel klar macht, dass sich der Ratgeber zuförderst an Post-Docs richtet, die aus der Wissenschaftslaufbahn aussteigen wollen, ist er generell lesenswert für alle, die beruflich etwas ganz Neues fernab ihres Studiums oder der bisherigen Berufserfahrung machen wollen.
Das Spannende an diesem Werk ist für uns, dass es neben Ausstiegsstrategien und vielen nützlichen Hinweisen z.B. auf Institutionen oder Ansprechpartner/innen als Kerninhalt 13 konkrete „Porträts“ enthält von Nachwuchswissenschaftler/innen, die in dessen neuem Berufsumfeld samt Weg dorthin dargestellt werden. Dabei wird stets von der einstigen wissenschaftlichen Zugehörigkeit der jeweils porträtierten Person ausgegangen, typische Arbeitssituationen mit Pro und Contra des neuen Berufs aufgezeigt, sowie for allem die Zusammenhänge zwischen alt und neu dargestellt. Wie passen die Erlernten Kompetenzen (auch) zum neuen Job, wie komme ich dorthin und was brauche ich zusätzlich? – Diese Fragen leiten die Leser/innen nicht nur durch die Entwicklung hin zu neuen Jobfeld, sondern machen jeweils deutlich, dass es Verbindungen, aber keine Automatismen gibt. Leider beschränkt sich das Werk dabei zum einen auf die Geistes- und Sozialwissenschaften und lässt damit weite Wissenschaftsbereiche wie Natur-, Ingenieur-, Religions- oder Rechtswissenschaften aus, in uns in unserer Praxis häufig begegnen (z.B. Mediziner/innen in der Pharmabranche, Bio-Chemiker/innen an privaten Instituten, Techniker/innen im Prozessmanagement von Unternehmen, Theologen/innen in Kulturzentren etc.). Zum anderen kam uns der Jobwechsel von alt zu neu bei manchen Porträts doch als sehr naheliegend bzw. artverwandt vor, wie etwa eine Politologin, die in die politische Verwaltung (Ministerium) ging, oder ein Sprachwissenschaftler, der als Verlagslektor arbeitete.
Die dahinterstehende Denklogik, sich aus dem bisherigen Job-Bereich die Erfahrungen, Haltungen, Skills, Fertigkeiten und Zugänge herauszusuchen und so konkret wie möglich für den neu angestrebten Jobbereich nutzbar zu machen (und sei dieser auch noch so fern und weit davon!), gilt unserer Meinung auch für alle sonstigen erfolgreichen Jobwechsel. Dass dies hier am Beispiel der Klischee-behaftet vermeintlich praxisunfähigen Wissenschaftler/innen, der promovierten Taxifahrer/innen und angeblich wirtschaftlich unfähigen Akademiker/innen aufgerollt wird, pointiert das richtige Grundanliegen dieses 227-seitigen Ratgebers nur noch deutlicher: Quereinsteiger/innen mit breiter wissenschaftlicher Basis werden gesucht – so sie den Zusammenhang zum außer-akademischen Arbeitsmarkt herstellen können.
Rolle vorwärts, Rolle rückwärts – But slip into your role!
Niemand ist geborene/r oder hauptamtliche/r Bewerber/in! Deswegen ist diese Rolle meist nicht erlernt und noch dazu mit finanziellem und/oder zeitlichem und/oder sozialem Stress verbunden – sprich: sie einzustudieren, kommt oft einem Impro-Theater gleich! Den berühmten Nerv der/s Recruiter/s zu treffen, mit einer Bewerbung zu verfangen und sich interessant zu machen, ist gerade bei neuen Jobfeldern in fremden Firmen eine Herausforderung – hat man doch meist außer einer kryptisch-floskelhaften Stellenausschreibung kaum argumentatives Futter, sich in die künftige Stelle hineinzudenken.
Das genau ist aber die Rolle von Bewerber/innen! Sie sollen die Lücke schließen zwischen ihnen (noch unbekannt, nur eine Nummer unter hunderten anderen, nur wenige Minuten Zeit zu überzeugen…) und dem angestrebten Job! Der Rollenbegriff stammt ursprünglich aus der Theaterwissenschaft, wo längere Reden und Texte für Schauspieler auf Schriftrollen festgehalten wurden, damit eine Person sie schnell lernen konnte. Heute beschreibt eine soziale Rolle insbesondere Erwartungshaltungen, Wertvorstellungen oder Verhaltensweisen, die wir personenunabhängig jemandem zuschreiben. So verlassen wir uns darauf, dass ein/e Verkäufer/in uns nach unseren Wünschen und Bedürfnissen frag, ebenso wie jemand in einer Polizeiuniform sich dafür interessieren sollte, wenn wir ihn auf ein Sicherheitsproblem ansprechen – egal, ob wir den jeweiligen Mensch dahinter kennen oder wissen, was er gerade denkt oder fühlt.
Dazu ist im ersten Schritt wichtig, was die Begriffe wie Worklife-Integration, Worklife-Balance und Worklife-Blending Ihnen bedeuten – sprich: Was ist Ihnen inzwischen wichtig am Job und was nicht, was können und wollen Sie geben und was nicht (mehr)? Gehen Sie möglichst weg von der (immer noch verbreiteten) Vorstellung, möglichst alles von vorher müsse verwertet werden oder gar wie ein „roter Faden“ zum Neuen dazu passen. Erstes gibt es kein moralisches Prinzip, wonach jedes Ihrer Talente oder Investitionen in das Erlernen sich eins zu eins lohnen, hundertprozentig verwurstet oder als Gewinn an die Gesellschaft aus- oder auf Ihr Lebensglück-Konto eingezahlt werden müsste. Zweites wirkt dies entweder aalglatt ohne markige Kanten oder spannende Brüche und wirkt wenig vertrauensbildend oder es schaut so zurechtgebogen und gestellt aus, wie in Biographien, wo das Bäuerchen eines Kleinkindes nachträglich zum untrüglichen Omen hin zur vorgezeichneten Opernkarriere frisiert wird.
Im zweiten Schritt aber gehört zur Bewerber/innen-Rolle, die Sicht des Gegenübers einnehmen und sich zu fragen, was diese/r kommunikative Kunde/in von Ihnen gebrauchen könnte – sicher (und hoffentlich) nicht alles, was Sie zu bieten haben! Was hat das Unternehmen für einen Benefit davon, Sie auszuwählen? Diese Frage beantworten Sie nicht damit, Fähigkeiten oder Kompetenzen aufzuzählen oder Allgemeinplätze aus der Ausschreibung zu postulieren (teamfähig, belastbar, lösungsorientiert… *gähn*). Woher sollte jemand, der Sie gar nicht kennt, wissen, in welchem Zusammenhang Sie sich so sehen bzw. wieso es Ihnen einfach so glauben? Würden Sie jemandem auf offener Straße einen feilgebotenen echten Brillanten für 10 Euro abkaufen? Eben! Denken Sie daher wie ein/e Unternehmer/in, selbst wenn Sie sich für eine Angestellten-Position bewerben: Was kann die Firma mit mir anfangen, durch mich Geld sparen, über mich neue Kunden/innen generieren, mit meiner Hilfe Abläufe optimieren (Welche konkret, wann und wie?) etc. Überlegen Sie sich, wozu Ihre Stelle im Unternehmenskontext gut ist, wie man sie noch besser gestalten und wohin in einigen Jahren weiterentwickeln könnte.
Aus demselben Grund interessiert sich jemand für Ihren kompletten, vollständigen Lebenslauf, wie Sie morgens in der Bäckerei dafür, wenn Ihnen jemand einen gebrauchten Bunsenbrenner oder Hedgefonds-Aktien anbietet – Sie wollen schlaftrunken nur Ihre duftenden Croissants und sonst nix! Haben Sie ganz frische oder neue mit Himbeer-Vanille-Füllung oder drei zum Vorzugspreis? Das könnte interessant sein. Niemals aber wird alles aus Ihrem CV zur neuen Stelle passen oder dafür gar spannend anmuten – ergo: weg damit! Statt klassischer Lebensläufe bieten sich für berufserfahrene Akademiker/innen Kurzvideos, Fact Sheets, Mini-Präsentationen oder Teaser-Texte an als Formate.
Ihr Gegenüber hat ebenso eine Rolle wie sie auch, nur eben eine ganz andere: Wie im Schauspiel greifen Sie bitte nicht in die der anderen ein genauso wenig wie diese in Ihre. Der/Die Recruiter/in soll die best-passende Person finden, um die Stelle möglichst langfristig zu besetzen. Ihre Rolle ist es, Ihre Vorzüge für die Stelle darzustellen, nicht diese zu bewerten – dafür kassiert Ihr Gegenüber Kohle. Falls es das schlecht macht, macht es seinen Job nicht gut – Allein hier geht es aber um den künftigen Ihren. Stellen Sie daher (z.B. über Beispiele aus zurückliegenden Job-Situationen) nur dar, wie Sie mit einem Problem in einer bestimmten Situation konstruktiv umgegangen sind, welche konkreten Einzelerfolge Sie erreicht haben oder was Sie aus einem konkreten Fehler gelernt haben. Würden Sie einen Roman weiterlesen, der mit „Anne war wütend und hilflos.“ beginnt, oder eher mit „Annes Fäuste ballten sich zusammen. Was sollte Sie bloß machen?“ Eben! Das „Show-Don’t-Tell-Prinzip“ gilt nicht nur in der Belletristik sondern überall, wo Sie Ihr Gegenüber auf sich aufmerksam machen und mit anderen (vielleicht nicht minder qualifizierten) Mitstreiter/innen konkurrieren wollen. Überlassen Sie getrost Ihrem Gegenüber den Schluss: „Oh, Der/Die ist aber teamorientiert/belastbar/lösungsorientiert etc.!“ Das vermeidet diese Begriffe nicht nur, sondern kommt viel eleganter – Und es zeigt Respekt vor der Rolle des Gegenübers.
Dann klappts auch mit der neuen Stelle!