Der unverrichteten Dinge drei – über bedingte Freiheit, Bedingungslosigkeiten und unbedingtes Grundeinkommen
AkademikerInnenzentrum – morgens um 7.45 h
Wieso das früh sein muss, draußen bei der U 1 Donauinsel? Weil es laut AMS-Wisch den ganzen Tag bis 17 h dauert. O.k., verstehe ich. „ICH“, das soll im Folgenden als Avatar für eine/n jede/n arbeitssuchenden Akademiker/in mit Berufserfahrung in Wien stehen. Der Schlipsträger vorne versucht einen seiner Schmähs, die nicht funktionieren – nicht so früh und nicht in der Tonart – und es sollen noch andere folgen: „Wenn Sie denken, heute den ganzen Tag hier zu sein… spätestens um 11 h sind wir fertig!“ Keiner lacht, und nur wenige freuen sich.
„Ich weiß, wie sie sich fühlen – ich war selbst in der Situation!“, grinst er gekünstelt in die Menge und weiß es nicht. Jedenfalls nicht bei mir. Von den anderen habe ich keine Ahnung, denn alle sind sich fremd und in dieser gefühlskalten Umgebung zusammengepfercht, die sich „Info-Tag“ schimpft. Erstens weiß er es deswegen nicht, weil es bei ihm gefühlte 15 Jahre her ist – keine Wirtschafts-, Finanz- oder Flüchtlingskrisen gab es da. Zweitens weiß er es nicht, weil sein Menschenbild schmalspurtunnelmäßig im AMS-Fahrwassern dahinplätschert, nicht links nicht rechts ans Ufer schauend. Von „schwierigen Zeiten“, „Skills“ und „Job-Coaching“ schwadronierend quatscht er sich selbst froh, unterbrochen nur durch peinliche Suggestivfragen in die gähnende Menge á la „Hab‘ ich recht oder stimmt’s eh?!“ Für ihn reicht es, wenn wir alle uns als irgendetwas irgendwo verdingen – Hauptsache, die Statistik stimmt für die Re-Evaluierung vor dem AMS-Folgeauftrag. Die meisten spielen mit ihren Smartphones, um das Fremdschämen zu verdrängen.
Früher noch wäre ich zu so etwas aus Prinzip nicht hingegangen. Heute ist es schwer, Prinzipientreue zu beweisen ohne Dispokreditrahmen. Am Ende gibt es nebulöse Infos darüber, was hier so besonderes passieren soll im Gegensatz zu anderen Stellen („Sie kriegen hier ECTS mit echtem Universitätszeugnis!“) und viel dazu was nicht geht, nicht passt und von einem erwartet wird. Als säßen hier lauter langzeitarbeitslose Sozialschmarotzer ohne tertiäre Bildung. Sehr viele – so lerne ich sie später in der Warteschlange kennen – haben zahlreiche Zusatzqualifikationen mit Berufserfahrung, sind vernetzt in der Jobsuche aktiv und fühlen sich von diesem Affentheater beleidigt. Hier wird schnell klar, wer ansagt und die Bedingungen stellt.
Nach einem „Clearing-Gespräch“ ist nur geklärt bei mir, dass ich den Laden unsympathisch finde und keines der angebotenen, rein auf Business zugeschnittenen Ausbildungsangebote absolvieren werde. Eine mir selbst ausgesuchte und wasserdicht begründete „Externe Qualifizierung“ wird in Form von Kostenvoranschlägen gnadenhalber an die Geschäftsführung weitergereicht. „Das Budget ist begrenzt!“ – Bei so viel Individualität und Empathie hilft nur Warten und nicht unbedingt Aufregen.
Österreichische Nationalbibliothek – mittags um 13.00 h
Noch gerade ein schönes Fenster am Heldenplatz ergattert. Ich schaue zwar nie auf den Burggarten hinaus, aber ich könnte es wenn ich wollte – bedingungslos. Viele Studenten kurz vor Semesterstart und mitten in den Prüfungswochen belagern die Säle. Die 10-Euro meiner Jahreskarte beinhalten keine Exklusivität oder Vorrechte. Hier fängt der frühe Vogel den Wurm, sitzplatztechnisch gesehen.
Ich könnte auch zuhause am Schreibtisch oder im Kaffeehaus (wozu lebe ich schließlich in Wien?!) schreiben, kriege das aber selten gebacken. Das Damoklesschwert der Ablenkung schwebt sonst zu nah über meinem lichten Kopf, durch den ohnehin viel zu viele Dinge rasen. Eigentlich sind es zwei Buchprojekte, eines des Marketings und Geldverdienens wegen, eines der schriftstellerischen Freude geschuldet. Warum letzteres sich flüssiger zu Papier kritzelt? Ich kasteie mich nicht mit solchen Fragen, deren Beantwortung mich eh null weiterbrächte.
Auch am Bib-Arbeitsplatz surfe ich zwischendurch in Facebook und checke meine Emails. Aber ich stelle mir selbst die Bedingung: Hier muss ich etwas tun, da ich mich sonst gelangweilt und frustriert am Tagesende frage, wieso ich nicht zuhause geblieben bin – Flatrate wird ja eh monatlich abgebucht. Meistens funktioniert es, dass meine Selbstdisziplinierung in Produktivität mündet. Das eine bedingt nicht automatisch das andere, vor allem nicht an Sonnentagen.
Ich fühle mich beim Ausräumen meines Schließfachs wie nach dem Sport, den inneren Schweinehund überwunden und ihn triumphierend verzehrend. Da der Mensch täglich essen sollte, geht es Morgen wieder los, nächste Challenge mit Tagesmenü – oder doch lieber Putztag zuhause?
Albert-Schweizer-Haus – abends um 18.45 h
Eine Podiumsdiskussion der Diakonie über bedingungslose Einkommen und menschliche Grundbedürfnisse. Am Podium die Doktoratsstudienprogrammleiterin der Fakultät, an der ich einmal den Studienservice geleitet habe, zusammen mit einem der Initiatoren des Schweizer Volksbegehrens zum Thema.
Kurz zuvor hatte ich bei der Online-Verlosung des Projekts „Mein Grundeinkommen“ teilgenommen, um gratis und ohne viel Registrierungsaufwand für ein Jahr monatlich 1.000 Euro zu gewinnen – aus gespendeten Geldern. Ich hatte dabei keine Gewissensbisse, aber auch nix gewonnen. Unter den FAQ’s las ich, dass wenn man z.B. 1.000 Euro aus anderen (etwa sozialstaatlichen) Quellen erhält, der Gewinn ohnehin gegengerechnet würde – aber dieser eben bedingungslos sein. Ich war nicht so enttäuscht, als meine Losnummer nicht gezogen wurde, da mir der Mehrwert ohnehin nicht so einleuchtete.
Erst als der Schweizer auf dem Podium zur Publikumsfrage der Gegenfinanzierung eines solchen Einkommens antwortet, fällt der Groschen. Sie sei praktisch unnötig, da das Geld bereits erwirtschaftet bzw. verteilt würde: Als Lohngehälter (gegen Arbeitsleistung), als Arbeitslosenhilfe (gegen aktives Jobbemühen) oder als Unterhalt (gegen familiäre Bindung) – aber eben meist nicht bedingungslos. Ich kuschele mich in die Ecke der Ledercouch und lächle als er anmerkt, dass er leider keine großen Mehrheitschancen für seine Initiative sehe.