„Hygge“ – typisch dänisch? Interview über Karriere, persönlichen Erfolg und Lebensplanung
Im WELTCAFÉ, am Montag, den 27.04.2015 treffen wir uns um 11.00 h mit Astrid Thyrsting und Kira Korsgaard Hansen aus Dänemark. Sie haben das sonnige Wetter aus dem hohen Norden – so erzählen sie vom Abflug – ins 26 Grad warme Wien mitgebracht. Der erste Cultural Gap, dem wohl (fast) Jede/r Nicht-ÖsterreicherIn schon einmal ausgesetzt war, passiert Astrid gleich beim Versuch, einen „einfachen Kaffee mit Milch“ zu bestellen – in der Wiener Kaffeehaustradition quasi ein Ding der Unmöglichkeit!
Generation…? – Zwischen Möglichkeit und Entscheidung
ABSOLVENTENAKADEMIE: Liebe Kira, liebe Astrid! Ihr seid Studierende am SAXO-Institut der „Københavns Universitet“ und befindet Euch gerade auf einer ethnologischen Feldstudie in Wien – Super, dass ihr Zeit für uns habt!
Astrid: Sehr gerne. Unsere Studiengruppe erforscht gerade AuswandererInnen daraufhin, wie sie sich mit ÖsterreicherInnen in Wien sozialisieren, wieso sie hergezogen sind und wie deren Alltag ausschaut. Da du selbst als Deutscher seit über fünf Jahren hier lebst (Anmerkung: gemeint ist der Interviewführer René Merten), trifft sich das doch bestens!
ABSOLVENTENAKADEMIE: Ihr beide gehört zu denen, die SoziologInnen gerne pauschal der sog. „Gen Why“ (Generation Y) zurechnen – Gut ausgebildete Studierende, kosmopolitische Millennials, open minded, individualistische Digital Natives, freiheitsliebend mit eher improvisierter Lebensplanung. Findet Ihr Euch in dieser „Klassifizierung“ wieder?
Kira: Ich verstehe, wieso wir so gesehen werden, denn wir unternehmen wirklich sehr viel, probieren Einiges aus, sei es in Punkto Studium oder Freizeit wie etwa Reisen. Wir haben jetzt so viele Möglichkeiten, können tun was wir und gehen hin wo wir wollen und möchten diese Freiheit natürlich nutzen. Aber es schwingt auch ein großer Druck mit, denn wenn du alles tun kannst, wird auch implizit erwartet, dass es das richtige ist. Manchmal würde ich gerne als Individuum wirklich die Dinge tun, die ich nur für mich selbst tun will, gleichzeitig fühle ich mich aber verpflichtet, bestimmte Dinge auch für andere zu tun – Für die Gesellschaft, meine Familie oder Freunde und Bekannte.
ABSOLVENTENAKADEMIE: D.h. Ihr nehmt diese Situation als realen Druck wahr, der auf Euch lastet?
Astrid: Oh ja, da ist manchmal echter Druck. Aber dennoch fühle ich mich frei, da die vielen Möglichkeiten ja da sind. Du musst aber die Verantwortung für deine Entscheidungen übernehmen.
ABSOLVENTENAKADEMIE: Spielt das Thema „Entscheidungen treffen“ dabei eine große Rolle? Wie geht ihr mit (zu vielen) Möglichkeiten um?
Kira: Ich finde, das ist eine der großen Herausforderungen, absolut. Schon in unserem Studiengang „Europäische Ethnologie“ sind wir zwei Jahre zuvor zu 70 gestartet und nun gerade noch 40. Es ist eben so, dass man oft etwas beginnt, dann sich aber fragt, ob das wirklich die richtige Wahl war. Man ist oft hin- und hergerissen zwischen den vielen Möglichkeiten. Ich z.B. fühle mich gerade wohl mit meiner Studienwahl, war aber auch schon einmal am Zweifeln. Es gibt halt so viele Dinge zu tun, zu entdecken, zu studieren oder kennen zu lernen und man will nichts Wichtiges verpassen.
Astrid: Manchmal kann es auch sehr schwierig sein, einfach zu relaxen und die Sachen, die du gerade tust, zu genießen. Man denkt dann oft daran, was man Morgen noch machen könnte anstatt im Moment zu leben. Ich denke dann oft an die Unsicherheiten in der Zukunft.
Kira: Vielleicht auch deswegen, weil Jede/r uns dauernd einredet, dass du schnell und erfolgreich studieren musst, einen guten Job finden sollst, sogar der Nebenjob während des Studiums soll mittlerweile zum Lebenslauf passen, auch wenn du schlicht im Fast-Food-Restaurant bedienst, um das nächste Semester zu finanzieren. Daneben werden zusätzlich ehrenamtliches Engagement und, und, und… inzwischen als selbstverständlich vorausgesetzt.
Karriere versus Traumjob? – Die (Un-) Planbarkeit des Lebens
ABSOLVENTENAKADEMIE: Steht die Job-Perspektive für Euch zentral im Fokus oder haben Familienplanung, Freizeit, Lebensglück etc. den gleichen Stellenwert – Gibt es vielleicht eine Hierarchie?
Kira: Ich meine, das funktioniert alles nur Hand-in-Hand. Ich denke über Studium und Job sehr viel nach, weil ich mir später einen Beruf aussuchen möchte, den ich gerne ausübe, der sich mit meiner Familie vereinbaren lässt, und der mich als Teil meines Lebens dieses genießen lassen kann. Ohne solch einen Job wird auch der Rest meines Lebens nicht so sein, wie ich es mir vorstelle. Und mein Studium ist ein Weg dorthin.
Astrid: Wenn ich in diesem Moment Familie und Freunde im Kopf habe, bin ich glücklich und vertraue darauf, dass auch in Zukunft alles gut wird. Erst wenn du mich nach dem zukünftigen Job fragst, fange ich an, intensiver darüber nachzugrübeln. Ich mache mir keine Sorgen darüber, dass ich auch später tolle Freunde haben werde mit einem tollen Lebenspartner und Kindern, wie ich es mir wünsche.
ABSOLVENTENAKADEMIE: Stresst Euch das Nachdenken über Eure berufliche Zukunft, weil es aus Eurer Sicht weniger berechenbar erscheint?
Kira: Genau – man kann es nicht wirklich planen.
Astrid: Es verändert sich auch alles so schnell. Es wird erwartet, dass man durchhält und flexibel mit dem Strom mitgeht. Die Momente ziehen dann geradezu an einem vorbei.
ABSOLVENTENAKADEMIE: Eure Generation gilt als bildungsaffin. Glaubt Ihr, eine gute Ausbildung, Weiterbildung, Zusatzqualifikationen etc. helfen Euch dabei, auf diese Unsicherheiten besser zu reagieren?
Kira: Ich persönlich finde nicht, nein. Der Grund meines Studienbeginns war allein das Interesse dafür, nicht um ein höheres Bildungsniveau zu erreichen oder so etwas. Ich glaube, du kannst genauso z.B. ein Schmied sein und ebenso einen tollen Job und eine schöne Zukunft haben – Vielleicht nicht mit so viel Geld, aber trotzdem ein erfülltes, glückliches Leben.
Astrid: Es ist halt die Frage, was du mit deinem späteren Leben anfangen willst. Im Moment haben wir als Studierende ja auch kein riesiges Einkommen, aber trotzdem eine coole Zeit. Deswegen ärgere ich mich manchmal über mich selbst, wenn ich jetzt an die ungewisse berufliche Zukunft Gedanken verschwende.
Achtsamkeit – In der Zeit leben
ABSOLVENTENAKADEMIE: Unternimmst du etwas gezielt gegen diese abschweifenden Gedanken, um dich auf das Hier-und-Jetzt fokussieren zu können, z.B. Meditationstechniken oder Achtsamkeitsübungen?
Astrid: Oh ja, seit ich dieses Jahr mit Yoga begonnen habe, habe ich viel öfter das Gefühl, das alles so o.k. ist, wie es ist. Auch ein kurzer Aphorismus oder ein guter Gedanke in einem Zitat unterstützt mich manchmal ungemein dabei, meine Mitte zu finden.
Kira: Auch miteinander darüber zu reden, hilft sehr; FreundInnen zu haben, die zu dir sagen: „Komm‘ wieder runter, alles gut, du musst dich nicht so stressen!“
ABSOLVENTENAKADEMIE: Seid Ihr oft im Zweifel über das, was Ihr tut oder seid?
Kira: Ich wünschte ich könnte sagen, dass ich mich voll und ganz unter Kontrolle habe und meine Handlungen niemals in Frage stelle, aber das wäre klar gelogen. Es gibt immer Momente – etwa vor einer schwierigen Uni-Prüfung – in denen man sich fragt, ob man eh genug gelernt hat und den Test meistert. Das passiert gleichfalls bei persönlichen Dingen. Wenn solche Zweifel kommen, sollte man sich aber auf positive Gedanken besinnen. Man muss auch nicht immer der/die Beste bei allem sein; es genügt vollkommen, mit sich selbst glücklich zu sein.
Astrid: Schließlich hat es das Leben sehr gut bisher gemeint mit uns. Es gibt also gar keinen Grund, ständig zu zweifeln an sich, anstatt Vertrauen zu haben. Ich feiere Samstag erst meinen 24sten Geburtstag und mag das Leben genießen.
ABSOLVENTENAKADEMIE: Geburtstag im sonnigen Wien, was kann schöner sein?! Wir wünschen Euch beiden alles Beste für Euer Studienprojekt und Eure persönliche Zukunft. Mit Eurer Einstellung wird sie ganz sicher erfolgreich!
(Interview und Übersetzung: René Merten)