La petite princesse – über Erwachsenwerden, Lernen und computeranimierte Leistungselite
„Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry… wer liebt die Zeichnungen und den Stoff nicht?! – Also auf zur computeranimierten Originalfassung ins Kino!
Wie viel von der Kritik am Werteverfall der Gesellschaft dieses modernen Kunstmärchens als Plädoyer für Freundschaft und Menschlichkeit würde der Film einfangen, wie zum Erwachsenwerden und der Kraft der Fantasie stehen können? Vorab: Es war eine werkgetreue Verfilmung der Ursprungsstory, die im Stop-Motion-Verfahren mit wunderschönen Papierfiguren ganz nach den Originalzeichnungen animiert wurde. Darüber wurde eine modernistische Rahmenhandlung gestülpt, die holzschnitzartig und manchmal wenig nachvollziehbar beide Handlungsstränge zu verweben trachtete…
Be essential! – Gerne, aber für wen?
Die Rahmenhandlung beginnt spannend damit, dass ein kleines Mädchen trotz minutiöser Vorbereitung kläglich vor der Aufnahmekommission versagt. Ironischerweise scheitert sie an der Antwort auf die Frage, die auf jedem Werbeplakat der begehrten Elite-Schule prangt: Was man später einmal sein möchte! Die vorgegebene Antwort „essential“ ist im englischen Original mehrdeutig konnotiert, kann es doch „wesentlich“ ebenso wie „unerlässlich“ oder „notwendig“ heißen. Ein Kind würde diese Frage ganz spontan mit etwa einem Traumberufswunsch beantworten, demjenigen der Rahmenhandlung jedoch ist kindlich-ehrliche Spontanität fremd, fast schon aberzogen worden. Das Mädchen stottert und versagt letztlich – alle selbsternannten „Schulexperten/innen“ á la Bernd Hüther und Co. hätten ihre wahre Freude daran. Die alleinerziehende Helikoptermutter versucht indes ihr Bestes, um das Kind dennoch auf die „Werth Academy“ zu bringen (wieder ein Wortspiel: Die Schule ist es wohl nicht wert („worth“) sondern klingt nur so; vielleicht eine Anspielung auf Léon Werth, dem Saint-Exupéry das Buch gewidmet hatte?):
Sie zieht mit ihr in die Nähe des Schulgeländes und plant den Sommer der Tochter generalstabsmäßig durch – mit Lernpensum, Lernfortschritt und Lerndokumentation an einer riesigen Magnetwand. Im Streit mit ihrer Mutter weist das Mädchen darauf hin, dass dies zwar ein Lebensplan (von der Mutter) sei, aber nicht das echte Leben (von der Tochter). Die Logik der Mutter dominiert der Leistungsgedanke, weshalb die Tochter (großzügig) zur Belohnung für braves Lernen ein Zeitfenster von einer halben Stunde eingeräumt erhält, um mit ihrem „neuen Freund“ spielen zu können. Dass dieser keine weibliche Spielkameradin sondern der verschrobene Märchenonkel von gegenüber ist, ahnt Mami noch nicht…
Bitte, male mir ein Schaf – …oder einen Gartenzaun, kleines Hündchen!
Während der Vater dem Mädchen zu jedem Geburtstag die obligatorische Skyline in der Schneekugel schenkt, bemüht sich die Mutter wenigstens, das Happy-Birthday-Mikroskop zu verpacken, ohne das dies für ihren kühlen Effizienz-Habitus auch gelten dürfte. Der alte Mann in dem wunderlich-bunten Haus schickt ständig kleine Textauszüge mit Bildern, versteckt Figuren im Kleingeld und lädt das Mädchen ein, mit ihm sein altes Flugzeug zu reparieren. Er ist der Bruchpilot, der in der Grundstory in der Sahara gestrandet den kleinen Prinzen sah, der seinen Planeten vor der Überwucherung durch die Affenbrotbäume retten wollte und ihn um Zeichnung eines tierischen Wollrasenmähers bat. Schade eigentlich, dass hier Vieles wie diese Schlüsselszene der Fantasie so eins-zu-eins übernommen wurde. Eine mögliche Abwandlung/Weiterentwicklung dieser Perikope könnte z.B. sein:
Le petit chien
„Mach‘ mir einen Gartenzaun, Schraubendreher!“
„…-zieher.“
„Wie, bitte?“
„..-ziiiieher!“
„Gesundheit! Mach‘ mir einen Gartenzaun.“
„Sehr lustig. Schraubenziiieher heiße ich!“
„Ach so? Du ziehst also Schrauben?“
„Nein, natürlich nicht.“
„…wie ein Esel einen Karren?“
„Du frecher Hund!“
„Mach‘ mir einen Gartenzaun!“
„Wozu? Du kennst ja nicht mal meinen Namen.“
„Aber ich weiß, was du kannst!“
„Alleine kann ich dir keinen Gartenzaun machen.“
„Wieso nicht? Weißt du nicht, wie einer ausschaut?“
„Klar, weiß ich das! Aber ich bräuchte dazu Holzlatten, Nägel, Schrauben…“
„Zum Drehen?“
„Nein, zum Ziiiiehen!“
„Eben sagtest du, du ziehest keine Schrauben, obgleich du anders heißen magst.“
„Frecher kleiner Hund du bist!“
„Weshalb denn, bitte? Nur, weil du mir einen Gartenzaun machen sollst?“
„Weil du Unmögliches verlangst! Ohne Baumaterial!“
„Ich habe gar nichts von Bauen gesagt. Zeichne ihn mir doch in den Sand.“
„Das wäre aber nicht echt.“
„Nicht recht? Das wäre mir sogar sehr recht.“
„Nicht eeeecht! Nicht wirklich!“
„Hmmm, du drehst Schrauben, heißt aber anders?“
„Ja doch… Und?“
„Trotzdem ist dein Name aber echt, oder?“
„Bitteeee – Hier ist dein Gartenzaun!“
„Danke, aber der ist ja ganz klein, noch kleiner als ich. Ich brauche einen groooßen Gartenzaun!“
„Hier bitte! Groß genug für dich?“
„Ja, aber die Latten müssten noch ein wenig höher, wenn es geht!“
„Hast du eigentlich noch alle Latten am Z…?“
„Ich bin ein frecher kleiner Hund.“
„Das weiß ich wohl. Was tust du denn da?“
„Ich? Ich hebe nur mein Beinchen – Danke dir!“
„Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar!“ – Wirklich, Plato?
Man muss kein/e Anhänger/in der philosophischen Ideenlehre oder ihrer Weiterentwicklungen sein, aber auch diese Sichtweise ist bereits im Original angelegt, ebenso wie der Dualismus zwischen Geist (dem wahren Selbst) und Körper (der vergehenden Hülle). Die Kino-Animation vergisst nicht auf die bekannte Szene, in welcher der kleine Prinz sich bewusst vergiften lässt, um (ohne Körper) den langen Weg nachhause antreten zu können. Zwar wird gerne in biblischen Metaphern wie der Schlange und dem Mysterium der Wüste gewildert, gleichsam wie die Aufwärmung des Leib-Seele-Problems – allerdings (wie beim Neoplatonismus) ohne Lösung oder Auflösung des Wortspiels um „essential“/wesentlich.
Der Gegenwartsbezug der Kino-Animation kommt in Gestalt einer Kapitalismus-Kritik daher, die sich auch schon im Original angelegt sieht. Die oberflächliche, ökonomisierte Erwachsenenwelt verdichtet sich in Form einer Fabrik, in welcher Gegenstände, die Entdeckung und Neugier symbolisieren (z.B. das Flugzeug, mit dem das Mädchen nach dem kleinen Prinzen im Jetzt zu suchen beginnt), in Heftklammern geschreddert werden – alle genau gleich und praktisch, eben „essential“. Der Wirtschaftsboss holt die Sterne vom Himmel, um sie zu nutzbringender Energie umzuwandeln, wovon ihn das Mädchen zusammen mit „Mr. Prince“ abhält, der inzwischen als heranwachsender Aushilfs-Facility-Manager das Firmendach schrubbt – eklektizistische Anleihen bei M. Endes „Momo“ lassen sich in den grau-gebeugten, immer im Zeitstress stehenden Erwachsenen im Film ebenso wiederentdecken wie J. M. Barries „Peter Pan“ sich um den (nicht mehr ganz so kleinen) Prinzen schnürt.
Beide finden letztlich auf den inzwischen verwilderten Planeten des kleinen Prinzen zurück, dessen schöne Rose bereits lange verdorrt ist. Ein Happy End, das weder für die Rahmenhandlung noch die Ursprungsstory wirklich überzeugt.