Life Design Thinking – den Lebensprozess steuern, statt das perfekte Leben zu suchen
Designing – mehr als formgebende Produktentwicklung
Designer/innen bauen Prototypen, die wir auf Automobil-Ausstellungen, High-Tech-Messen oder auf Raumfahrt-Tagungen vorgestellt sehen. Dabei denken wir an futuristisch-glänzende Küchenroboter, funktionales Gartenzubehör oder Studienobjekte aus leicht formbarem Material, ohne Anstrich mit allerlei Falzpunkten und Bauteilkennzeichnungen. Die dahinter stehende Denkweise, das „Design Thinking“, geht jedoch weit über Industrial Engineering und ingenieurswissenschaftliche Konstruktion hinaus: Das Arbeiten wie Designer/innen ist nicht nur für die Produktentwicklung oder den technologischen Fortschritt nutzbar – es eröffnet Denkräume, löst Daseinsprobleme und entwickelt kreative Antworten auf Lebensfragen. So wirbt das aus dem Amerikanischen übersetzte Werk „MACH, WAS DU WILLST – Design Thinking fürs Leben“ (im Original: „Designing your life – How to build a well-lived, jouyful life“) der beiden Stanford-Dozenten Bill Burnett und Dave Evans, das 2016 im Berliner ECON-Verlag (Ullstein-Buchverlage) erschien.
Design thinking fürs Leben – lesenswert für alle, die nicht in Stanford studieren (können)
Von einigen Übersetzungsholprigkeiten und diversen Lektoratsfehlern abgesehen, liegt hier ein in weiten Teilen spannendes und lehrreiches Buch vor, welches in klarer Sprache und mit eingängigen, lebensechten Praxisbeispielen den Lesern/innen nicht nur den Zugang des „Design Thinking“ nahebringt. Es arbeitet auch mit Einwänden und Gegenfragen, nimmt diese auf und pariert sie, um die Leser/innen von Beginn an aktiv einzubinden. Als Gewinn erweist sich, dass beide Autoren die Thematik seit Jahren akademisch unterrichten und auch im Unternehmenskontext weiterentwickeln. Manchmal währt man sich förmlich im Uni-Seminar oder beim Strategie-Meeting sitzend und mitdiskutierend, was durch die vielen Übungen und Tipps noch Verstärkung findet. Immer wieder wird dabei der Bogen geschlagen zurück zum Denkansatz, in dem es nicht darum geht, einmal die richtige Entscheidung zu finden oder abschließend die klügste Auswahl zu treffen. Vielmehr denken Designer/innen in Prototypen, von denen selten die ersten die besten oder gar diejenigen sind, die später eins zu eine „in Serie“ gehen. Immer wieder klopfen die Autoren dysfunktionale Überzeugungen ab, damit die Leser/innen nicht erneut in die Denkfalle mancher Glaubenssätze fallen, vermeintlichen Zwangsläufigkeiten nachgeben oder in die Opferrolle abgleiten.
„Design Thinking“ nimmt das an, was ist, ob persönlich, beruflich oder sozial (Kapitel 1: Beginnen Sie, wo Sie gerade sind) und widmet sich dann einer Problemdefinition, die Optionen schafft. Probleme und Fragen werden als Herausforderungen gesehen, die Weiterentwicklung erst möglich machen. Dazu bedarf es einer Neugierde, die wenig mit dem Genius des/r „einsamen Erfinders/in“ gemein hat, sondern auf Kooperation (mit sich, mit anderen Menschen, mit der Umwelt) setzt. Die Betonung des Lern- und Entwicklungsprozesses, in dem Fehler passieren, Prototypen getestet und Ideen wieder verworfen werden, rückt dabei immer wieder in den Fokus.
Alter Methodenwein in neuen Schläuchen, aber stets mit dem „Design-Thinking-Ansatz“ verknüpft
Bei der operativen Umsetzung des Ganzen findet sich viel Bekanntes wieder, u.a. Brainstorming, Reframing, schriftliche Selbstreflexionen, Mind Mapping etc.. Zu den Kernelementen des „Design Thinking“ wie etwa die konkrete Auswahl der persönlichen Prototypen findet sich nur wenig operationaler Input (Welche Ideen könnten schnell und mit wenig Aufwand ausprobiert werden? Welche Ideen wären außergewöhnlich toll, wenn sie klappten? Welche sind einmalig/neuartig? etc.). Auch bei der Entwicklung und Bewertung der Prototypen wären Anleitungsbeispiele darüber hinaus, dass Erfahrungen in einem geschützten Rahmen zu sammeln seien (z.B. Praktika oder Schnuppertage) bzw. erfahrene Personen befragt werden sollen, sinnvoll gewesen (vgl. Kapitel 6: Prototypen). Auch die Anteile im Buch, welche sich dem Entscheiden widmen, sind sehr allgemein und kurz gehalten (Kapitel 9: Sich für das Glück entscheiden).
Interessant ist der ganzheitliche Ansatz des Buches, der „Life Design“ nicht nur auf einzelne Lebensbereiche sondern alle Lebensfragen bezieht, in dem Erfolg, Glück und Zufriedenheit zentrale Parameter bilden. Gelegentlich fokussiert das Buch stark auf die klassische Berufsorientierung (im Sinne einer entgeltlichen Vollerwerbsarbeit). Das führt zum einen zu einer starken Eingrenzung von Arbeit und Selbstverwirklichung weg von ganzheitlich gedachten Lebensentwürfen. Zum anderen driftet das Buch (z.B. Rückseite: „…Zwei Drittel aller Arbeitnehmer sind in ihrem Job unglücklich…“ oder Kapitel 7: Wie man keinen Job bekommt) dann zum Bewerbungsratgeber ab, mit z.T. kruden Plattitüden („…benutzen Sie die gleichen Worte, die in der Stellenanzeige verwendet wurden…“ oder „…Bringen Sie immer ein neues, sauber ausgedrucktes Exemplar Ihrer Bewerbung mit zum Vorstellungsgespräch“ etc.). Damit begegnet man nicht nur den aktuellen Herausforderungen bei der Jobsuche nicht; es fühlt sich zudem wie ein Fremdkörper im Buch an.
Designe dein Leben – (nur) nach der Logik deiner Ratio?
Überzeugend bleibt die gelungene Darstellung des Ansatzes von „Design Thinking“, der (richtig verstanden) nicht auf unterwerfendes Design aus ist, wie etwa Parkbänke, die bewusst unbequem entwickelt wurden, damit Obdachlose sich nicht darauf zum Schlafen legen können. Es geht um entwerfendes, die Selbstbestimmtheit förderndes Design, das stets weiterentwickelbar und offen zum Mitdenken anregt. Statt eines fancy Gegenstandes reduziert sich „Design Thinking“ nicht auf Popkultur oder reine Ästhetik, sondern wird an der Nutzer/innen-Freundlichkeit gemessen – in diesem Fall daran, ob es für Ihr Leben passt. Ob „Design Thinking“ als wissenschaftliches Konzept taugt oder schlicht die transdisziplinär-innovative Arbeitssituation von Designern/innen zu einem Methodenmix hochstilisiert, mag an anderer Stelle entschieden werden.
Letztlich unberücksichtigt bleibt jedoch die Einbindung spiritueller, emotionaler oder intuitiver Impulse. Das ist als einer der grundsätzlichen Kritikpunkte an diesem Ansatz nicht dem Buch anzulasten. Darauf aber gar nicht einzugehen bzw. nicht davon zu lernen oder profitieren zu wollen, schon eher. „Design Thinking“ ist Denken und geht von einer rationalen Welt- und damit auch Lernsicht aus. Der deutsche Titel „Mach, was du willst“, mutet in diesem Kontext fast missverständlich an, da es gerade darum geht, sich fokussiert und prozessorientiert Gedanken zu machen anstatt „spontan drauf los zu rennen“. Gemeint ist vielmehr der strukturierte Raum zum kreativen Ausprobieren, das Lernen aus dem Scheitern und die Freude am Neuen. Analyse, Konzeptionierung, Planung, Umsetzung und Evaluation lassen als durchgetaktete Phasen wenig Raum für Lust, Bauchgefühl, Empathie oder irrationales Handeln – dabei bestimmen doch diese Momente unser Leben empirisch gesehen am meisten und machen dieses oft erst lebenswert…