30 Apr 2018

Quergedacht – Kreativität in Studium, Beruf und Privatleben

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Zwischen kreativem Chaos und Geistesblitz

Logische Schlüsse ziehen, Berechnungen anstellen und analytisches Vorgehen haben Sie im Studium gelernt. Kreatives Denken hingegen stellt neue Verbindungen her und führt oft zu originellen Entdeckungen oder Weiterentwicklungen. Die dazu nötigen Gedankensprünge sind nicht gefragt beim Aufstellen einer Unternehmensbilanz oder wenn es darum geht, sicher die Autobahnspur zu wechseln. Sehr wohl aber helfen sie z.B. bei der Produktentwicklung in einem Unternehmen und können Denkblockaden beseitigen, wenn eine Problemlösung mit herkömmlichen Methoden nicht zum Erfolg führt. Kreativität hat daher nur dort etwas verloren, wo sie erwünscht ist. Aus den Satzanfängen von Probeklausuren eine spannende Kurzgeschichte zu erfinden, macht nicht fit für die Prüfung, sondern ist Träumerei im falschen Moment. Im Konfliktgespräch mit der/dem ChefIn die Farbintensität des Sakkos mit Naturblüten zu vergleichen, führt ebenso wenig zum Erfolg.

Kreativität verlangt nicht nur nach dem passenden Setting sondern auch der Einstellung dazu. Kreativ zu sein hat nichts mit künstlerischem Genius zu tun, sondern damit, in der Sache flexibel querzudenken, unkonventionelle Wege zu beschreiten und den Mut zum Risiko des Scheiterns zu besitzen. Viele berühmte ErfinderInnen und KünstlerInnen durften sich jahrelang anhören, ihre Ideen seien verrückt, brächten nichts ein oder würden niemals funktionieren. Umgekehrt hören wir alle immer nur von der ach so gelungenen Gründung eines innovativen Startups und dem einzigartigen neuen Smartphone, nicht aber den vielen Misserfolgen, Insolvenzen und unbrauchbaren Prototypen im Vorfeld. Kreativität sei eben nicht nur Inspiration, sondern auch Transpiration, soll der Erfinder der elektrischen Glühbirne ausgerufen haben. Daher unterscheidet sich kreatives Denken nicht nur vom Endprodukt sondern auch als Prozess deutlich vom konventionellen Denken: Hier gibt es selten den alles erhellenden Heureka-Moment am Ende sondern ein fortlaufend spielerisches Ausprobieren und Sammeln von Ideen. Kreativität funktioniert kaum am Schreibtisch und vor allem nicht nach bekannten Denkmustern, mit denen wir größtenteils unseren Alltag strukturieren.

 

Übung: Brain Storming, Free Writing and Bullet Pointing

Wenn Sie eine anstrengende Aufgabe vor sich haben, eine schwierige Entscheidung treffen sollen oder Anregungen für eine Herausforderung suchen, begeben Sie sich an einen für Sie ungewöhnlichen, aber angenehmen Ort: Wenn Sie normalerweise am Schreibtisch nachdenken, könnte ein solcher eine Parkbank sein; falls Sie meistens in der Bibliothek lernen, wäre es vielleicht das offene Foyer eines Kinos. Gut geeignet sind Plätze, wo Sie selten sind und die keine engen Mauern, eintönigen umgeben und sich wie in einer Sardinenbüchse anfühlen. Immer setzen Sie sich erst ein paar Minuten hin und lassen den Ort auf sich wirken, bevor Sie ein Blatt Papier nehmen und ein Brainstorming über Ihr Thema machen. Schreiben Sie dabei alles so auf, wie es gerade in den Kopf schießt, und bewerten Sie Ihre Einfälle nicht. Reflexionen wie „Coole Idee“ oder „So ein Blödsinn“ haben hier (noch) nichts verloren! Alles vom Problem über die Lösung bis hin zu wilden Assoziationen hat seine Berechtigung. Es geht zunächst weder um Präzision noch Qualität. Wenn ein Gedanke zum Beispiel zweimal kommt, schreiben Sie ihn ruhig zweimal hin – das kann ein Zeichen sein, dass er Ihnen wichtig oder in verschiedenen Kontexten von Bedeutung ist.

Wenn das Papier kreuz und quer vollgepinselt ist (gerne auch bunt!), legen Sie den Stift weg und lesen es durch. Vieles wird Ihnen „ganz logisch“, einiges unspektakulär und weniges unrealistisch verkommen – wenn das so ist, haben Sie alles richtig gemacht! Ergänzen Sie nichts mehr, auch wenn Ihnen beim Lesen noch etwas einfallen sollte (das ist meist so). Nehmen Sie stattdessen ein neues Blatt Papier zur Hand, stellen die Stoppuhr auf 5 Minuten und fangen sofort an, zu Ihrem Thema los zu schreiben, völlig frei, ohne Textaufbau, Punkt und Komma, vorgedachte Satzstruktur etc. Machen Sie Rechtschreibfehler oder geben Sätze keinen Sinn, ignorieren Sie es und kritzeln weiter. Schreiben Sie in Ihrer normalen Schreibgeschwindigkeit, aber setzen Sie keinesfalls den Stift ab – dieser wendet sich niemals rückwärts, streicht nicht durch und bessert nicht aus! Wenn ein Wort oder ein Satz endet, geht es sofort weiter wie bei einem stenographischen Diktat. Fällt Ihnen das nächste Wort nicht gleich ein oder der Stift gerät ins Stocken, ärgern Sie sich nicht – das ist anfangs ganz normal. Schreiben Sie in solchen Fällen das letzte Wort wieder und wieder, solange bis Ihnen ein neues in den Sinn kommt. Sie können auch die Frage „Wie soll ich weiterschreiben?“ hinschreiben – Hauptsache, der Schreibfluss wird nicht unterbrochen. Am Ende kommt selten ein druckfähiger Artikel heraus, aber eine kreative „Wurst“ von neuen Gedankensträngen, auf die Sie mit bedacht-analytischem Nachdenken nicht gekommen wären. Picken Sie sich abschließend die wichtigsten Gedanken heraus und fassen diese erst zum Abschluss in Bullet-Points strukturiert zusammen.

 

Übung: Gelernter Nonkonformismus durch Analogie- und Methapern-Bildung

Kreatives Denken lässt sich so wenig erzwingen wie die perfekte Meditation bei einem/einer Yoga-AnfängerIn. Wenn Sie in alte Denkschemata zurückfallen, ist das insofern in Ordnung, als diese für unser Leben zu einem Großteil unverzichtbar sind. Mentale Einstellungen in bestimmten Situationen gezielt zu durchbrechen, ist gleichwohl trainierbar. Analogien können Ihnen in (fast) jeder Situation helfen, kreativ zu denken. Isolieren Sie dazu die zentralen Begriffe des jeweiligen Problems oder der betreffenden Fragestellung. Versuchen Sie diese Worte in andere Kontexte einzusetzen, wie etwa ein Körperteil mit einem Tier zu vergleichen: „Mein schmerzender Fuß fühlt sich an wie eine Cobra, deren Fangzähne einschlagen“. Sie können auch eine abstrakte Aussage mit einer Tätigkeit gleichsetzen: „Der Grundsatz der Gewaltenteilung funktioniert wie das Aufhängen einer Wanduhr – das Parlament ist der Nagel, die Regierung der Hammer und die Rechtsprechung die Zange“.

Je ausgefallener Ihre Analogiebildungen werden, desto offener werden Sie selbst für die Lösung. Ähnliche Wirkungen haben Methapern, wenn Sie mit ihnen Sachverhalte konkretisieren und sich Letztere bildlich vorstellen. Beispielsweise können Sie sich (ernsthaft) fragen, ob und wie ein Kreis hustet oder wonach das Ampel-Rot Ihrer Meinung nach duftet! Verfremden Sie (emotional belastende) Herausforderungen weiter, und bleiben Sie möglichst „im Bild“: Was würden Sie gegen einen Schlangenbiss tun, und was davon könnte auf Ihren Fußschmerz passen? Oder: Braucht die Regierung einen „langen Arm“, um den Hammer kräftig zu nutzen, und wie „tickt“ die Wanduhr der Gewaltenteilung, wenn der Nagel schief sitzt?